Interview mit dem Kommandanten der GORCH FOCK, Kapitän zur See Nils Brandt

Das folgende Interview entstand im Rahmen eines gemeinsamen Seemannssonntages, den Vertreter der REUNION Marine mit der Stammbesatzung der GORCH FOCK und ihrem Kommandanten am 1. August 2019 an Bord des Wohnbootes KNURRHAHN verbringen durften. Das Wohnboot der Stammbesatzung des Segelschulschiffes der Deutschen Marine liegt auf dem Elsflether Werft-Gelände, die GORCH FOCK zurzeit in Berne auf der Fassmer Werft.

 

Herr Kapitän Brandt, wir haben heute Seemannssonntag. So möglich, pflegen Sie diese Tradition an Land als auch in See?

Ja, wir pflegen diese Tradition im Hafen, in See, an Land als auch in unseren bundeswehrgemeinsamen Dienststellen und damit hat sich eine ursprüngliche Marine-Tradition allgemein in der Bundeswehr verbreitet.

Welche der kursierenden Theorien des Seemannssonntages nehmen Sie als Erklärung?

Meine Erklärung ist Christoph Columbus hat an einem Donnerstag Amerika entdeckt und an Bord gab es nichts mehr als Kuchen. Die Spanier hatten ja immer eine Art Gebäck an Bord.

Wie würden Sie Ihre Besatzung und deren Gedanken zur GORCH FOCK beschreiben?

Für mich ist es bewundernswert, dass die Besatzung, trotz der langen Werftliegezeit der GORCH FOCK, die Hoffnung an das Schiff keinesfalls verloren hat, zumal ein Großteil noch nie auf der GORCH FOCK zur See gefahren ist. Es ist darüber hinaus bewundernswert, dass alle gemeinsam nach vorn schauen, um das Schiff wieder in Fahrt zu bringen.

Wie sieht zurzeit der Alltag Ihrer Besatzung auf dem Wohnboot KNURRHAHN aus?

Der Alltag entspricht dem klassischen Marine-Bordalltag im Hafen – beginnend mit der Weckroutine, Frühstück, Reinschiff, Sport, Unterricht, wie Segeltheorie, Truppenkunde, Übungen, wie Umgang mit Feuerlöschgeräten, praktischen Arbeiten und auch Knotenkunde.

Was beinhaltet die Truppenkunde?

Mit der Truppenkunde vermitteln wir, wie die Marine und die Streitkräfte aufgebaut sind und wie die GORCH FOCK, die der Marineschule Mürwik unterstellt ist, darin eingebunden ist.

Der Aufnäher, den KzS Nils Brandt für die Besatzung der GORCH FOCK im März 2019 drucken ließ. Foto: May-Barg.

Wie schaffen Sie es, die Ihnen anvertrauten Soldaten und Soldatinnen während der langen Werftliegezeit der GORCH FOCK – ebenso unter gefühltem medialem Druck – zu motivieren?

Grundsätzlich leben wir als Besatzung auch hier auf dem KNURRHAHN unseren Teamgedanken weiter: Wir sind GORCH FOCK. So haben ich im März unseren Aufnäher drucken lassen „Wir sind GORCH FOCK – Sturm erprobt und Leid geprüft“. Dieser fand Anklang. Als Vorgesetzte reden wir darüber hinaus viel mit den uns unterstellten Soldaten und Soldatinnen. In der Hochphase der Unsicherheit und entsprechend bekannter Berichterstattung um die GORCH FOCK, habe ich, um die Besatzung aktuell informiert zu halten, an sie Mails geschrieben, um ihr die Möglichkeit zu geben, auf Fragen aus Freundes- und Familienkreis den Tatsachen entsprechend korrekte Antworten geben zu können.

Wie planen Sie die Ausbildung bis zur Inbetriebnahme der GORCH FOCK?

Wir werden bis Oktober 2019 die Erstausbildung am Übungsmast an der Marineschule Mürwik durchführen. Im Anschluss werden wir ein praktisches Manövertraining auf dem Segelschulschiff DEUTSCHLAND in Bremen Vegesack absolvieren, bevor es dann Ende November 2019 für einen Teil der Besatzung auf die ALEXANDER VON HUMBOLDT II. geht. Die Ausbildung der zukünftigen Ausbilder der GORCH FOCK wird im Rahmen der seemännischen Basisausbildung von Januar bis März 2020 gemeinsam mit den Offizieranwärtern, dann ebenfalls auf der ALEXANDER VON HUMBOLDT II., durchgeführt werden.

Sie sind der 14. Kommandant seit der Indienststellung der GORCH FOCK im Jahr 1958. Wer war damals Ihr Kommandant und welche Erinnerung haben Sie an Ihre Ausbildungszeit auf dem Segelschulschiff?

Mein Kommandant war Immo von Schnurbein, der mir damals durch seine Persönlichkeit und fachliches Können Vorbild war. Für mich als begeisterter Segler war die Zeit auf der GORCH FOCK ein Highlight.

Wissen Sie wo  die Schwarz-Weiß-Fotos von Johann Wilhelm Kinau und Ihren Vorgängern, die auf der GORCH FOCK das Kommando führten, heute aufbewahrt werden? Werden diese wieder ihren alten Platz finden?

Sie warten im Container auf dem Elsflehter Werftgelände und werden dann in neuen Rahmen wieder vor der Kommandantenkammer präsentiert werden.

Wann waren Sie das erste Mal auf einem Schiff?

Da war ich ein Jahr alt, das war auf dem Schiff von meinem Großvater.

Wie sind Sie zur Marine gekommen?

Eigentlich wollte ich zur Handelsmarine gehen, um später Lotse zu werden. Aufgrund der Lage in der deutschen Seeschifffahrt war dies jedoch eine unsichere berufliche Perspektive. So entschied ich mich zur Bundesmarine zu gehen, weil ich gern zur See fahren wollte.

Sie waren für drei Wochen tatsächlich beides, Kommandeur und Kommandant, da Sie vor kurzem den Kommandeur der Marineschule Mürwik vertreten haben. Die Schiffe im Hafen der MSM sind mit der Zeit immer weniger geworden. Beunruhigt Sie das als Seefahrer?

Nein, weil wir Anfang kommenden Jahres, 2020, fünf zusätzliche Dienstsegelboote bekommen werden. Mich beunruhigt allerdings die Tatsache, dass wir keine Schulboote, das heißt Motorboote bzw. Motorschiffe für die nautisch-navigatorische Ausbildung zur Verfügung haben.

Von der GORCH FOCK gibt es in der Nikolauskapelle, dem Andachtsraum der Marineschule, einen Schiffskompass, der zur Kanzel umgebaut wurde. Von wo stammt dieser genau?

Das ist der vordere der ursprünglich auf dem Hüttendeck stehenden zwei Kompasse, der jetzt ausgemustert wurde.

Und wer fertigte das 16 kg schwere Messing-Kreuz an, das in der Nikolauskapelle steht?

Es wurde auf der 165. Ausbildungsreise der GORCH FOCK im Herbst 2014 von den Schiffstechnickern gedreht.

Kommandant der GORCH FOCK, Kapitän zur See Nils Brandt. Foto: May-Barg.

Ebenso das neue Rednerpult und der neue Beamer an der Nordwand der Aula der MSM stammen von der GORCH FOCK. Aus welchen Teilen der Schiffsmaste sind diese gefertigt worden?

Das neue Rednerpult ist ein Teil des Großmastes, welcher als erstes aus dem Deck der GORCH FOCK geragt hatte. Gefertigt wurde es von der Besatzung. Das Signal-Gelb entspricht der Originalfarbe des Schiffsmastes, wie auch der Teil eines Besanmastes, in den der Beamer eingelassen wurde.

Wie würden Sie einem Nichtsegler in zwei Sätzen das Wort Seemannschaft erklären?

Seemannschaft ist die Art und Weise der Handhabung eines Schiffes durch die Besatzung. Gute Seemannschaft ist das eingespielte auf einander abgestimmte Handeln.

Falls Sie daran glauben, dass ein Schiff Seele hat: Wo ist wohl die Seele der GORCH FOCK zurzeit?

Die Seele wird durch uns als Besatzung gelebt!

Aberglaube ist bei Seelauten verbreitet, sagt man…?

Abergläubisch ist sicher jeder ein Stück. Bei uns gilt das Pfeifen an Deck oder das Kratzen am Mast als kein gutes Omen. Letztlich dient wohl der Aberglaube zur Erklärung des Nichterklärbaren.

Warum gehört Ihrer Meinung nach zu hochqualifiziertem Marinepersonal die Ausbildung auf der GORCH FOCK dazu?

Weil die Ausbildung auf der GORCH FOCK auf sehr traditionelle Art und Weise die Grenzen der Natur zur Machbarkeit vermitteln kann. Gerade in dem heutigen technischen und digitalen Zeitalter, wo durch Simulation fast alles ermöglicht werden kann, werden diese natürlichen Grenzen durch Wind, Wellen, Wetter an Bord eines Segelschiffes erfahrbar gemacht.

Welche Charakterzüge werden Ihrer Meinung nach insbesondere bei der Ausbildung auf einem Großsegler gefördert?

Das sind Teamgeist, gegenseitige Rücksichtnahme, Hilfe, Unterstützung, Toleranz, Demut gegenüber den Naturgewalten und maritime Gelassenheit. Wir erfahren, dass die Dimension See mit ihren natürlichen Grenzen, die sie setzt, diese Charakterzüge fördert.

Warum befürworten Sie, dass die GORCH FOCK in Stand gesetzt wird und kein Neubau gebaut wird?

Wir sehen, dass die Erwartungen der Menschen heute grundsätzlich an einen Schiffsneubau ganz andere sind als früher. Das betrifft u.a. die Handhabung mit technischer Unterstützung sowie die Unterbringungsstandards, das zeigen auch unsere Erfahrungen an der Marineschule Mürwik. Unsere Aufgabe ist es jedoch insbesondere die definierten Ausbildungsziele in die Tat umzusetzen zu können und das können wir auf der GORCH FOCK.

Welche der befreundeten Marinenationen können Sie nennen, die kein Segelschulschiff hat?

Zu den wenigen Marinen, die kein Segelschulschiff nutzen, gehört die Britische Royal Navy.

Fotos, Akten und Unterlagen der GORCH FOCK umgeben den Schreibtisch des Segelenthusiasten Nils Brandt, Kommandant des deutschen Segelschulschiffes, hier auf dem Wohnboot KNURRHAHN der Deutschen Marine. Foto: May-Barg.

Wonach richtet sich die Routenplanung der Ausbildungsreisen der GORCH FOCK?

Grundsätzlich nach den Seegebieten, in denen saisonal günstige Windverhältnisse herrschen, um möglichst viele Seemeilen unter Segeln zurücklegen zu können.

Was wünschen Sie sich für Ihre Besatzung?

Ich wünsche mir, dass unser Schiff zügig fertig gestellt wird und, dass wir mit der Ausbildung beginnen können, um dann zeitnah auch unseren Auftrag „Kadettenausbildung“ wieder aufnehmen können.

Was ist für Sie – nach allem Erlebten um die GORCH FOCK – die Kernaussage zum Segelschulschiff der Deutschen Marine?

Für mich war es wichtig, dass die Entscheidung zur Fortsetzung der Instandsetzung der GORCH FOCK positiv beschieden wurde, da die GORCH FOCK für die Ausbildung in der Marine eine lange Traditionslinie hat und darüber hinaus das Schiff als Botschafterin in Blau nach dem Zweiten Weltkrieg für die junge Bundesrepublik Deutschland eine wichtige Aufgabe zur gegenseitigen Vertrauensbildung mit vielen Ländern wahrgenommen hat. Diese Botschafterfunktion wirkt heute in der öffentlichen Wahrnehmung nach. Heute jedoch liegt der Schwerpunkt in der Ausbildung an Bord.

Herr Kapitän Brandt, wir bedanken uns sehr für das Gespräch, Ihre Zeit und wünschen Ihnen, Ihrer Stammbesatzung und allen zukünftigen OAs auf der GORCH FOCK immer eine Hand breit Wasser unter dem Kiel und viel Glück.

Interview REUNION Marine/ May-Barg